Kapitel VI, Schutzmaßnahmen (Art. 19 - 24)

Artikel 19 - Verbot von Repressalien

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um jede Form von Repressalien gegen die in Artikel 4 genannten Personen, einschließlich der Androhung von Repressalien und des Versuchs von Repressalien, zu untersagen; dies schließt insbesondere folgende Repressalien ein:

a) Suspendierung, Kündigung oder vergleichbare Maßnahmen;

b) Herabstufung oder Versagung einer Beförderung;

c) Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeit;

d) Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen;

e) negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses;

f) Disziplinarmaßnahme, Rüge oder sonstige Sanktion einschließlich finanzieller Sanktionen;

g) Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung;

h) Diskriminierung, benachteiligende oder ungleiche Behandlung;

i) Nichtumwandlung eines befristeten Arbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag in Fällen, in denen der Arbeitnehmer zu Recht erwarten durfte, einen unbefristeten Arbeitsvertrag angeboten zu bekommen;

j) Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags;

k) Schädigung (einschließlich Rufschädigung), insbesondere in den sozialen Medien, oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmeverluste);

l) Erfassung des Hinweisgebers auf einer „schwarzen Liste“ auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet;

m) vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen;

n) Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung;

o) psychiatrische oder ärztliche Überweisungen.

Artikel 20 - Unterstützende Maßnahmen

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 4 genannten Personen gegebenenfalls Zugang zu unterstützende Maßnahmen haben, wozu insbesondere Folgendes gehört:

a) umfassende und unabhängige Information und Beratung über die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien und die Rechte der betroffenen Person, die der Öffentlichkeit einfach und kostenlos zugänglich sind;

b) wirksame Unterstützung vonseiten der zuständigen Behörden beim Kontakt mit etwaigen am Schutz vor Repressalien beteiligten Behörden einschließlich — sofern nach nationalem Recht vorgesehen — einer Bescheinigung, dass die Voraussetzungen für einen Schutz gemäß dieser Richtlinie erfüllt sind; und

c) Prozesskostenhilfe in Strafverfahren und in grenzüberschreitenden Zivilverfahren gemäß der Richtlinie (EU) 2016/1919 und der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (48) und gemäß dem nationalen Recht Prozesskostenhilfe in weiteren Verfahren sowie zu Rechtsberatung und anderer rechtlicher Hilfe.

(2)   Die Mitgliedstaaten können im Rahmen gerichtlicher Verfahren finanzielle Hilfen und unterstützende Maßnahmen, einschließlich psychologischer Betreuung, für Hinweisgeber bereitstellen.

(3)   Die unterstützenden Maßnahmen nach diesem Artikel können gegebenenfalls von einem Informationszentrum oder einer einzigen, eindeutig benannten unabhängigen Verwaltungsbehörde bereitgestellt werden.

Artikel 21 - Maßnahmen zum Schutz vor Repressalien

(1)   Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 4 genannten Personen vor Repressalien geschützt sind. Dies umfasst insbesondere die in den Absätzen 2 bis 8 des vorliegenden Artikels genannten Maßnahmen.

(2)   Unbeschadet des Artikels 3 Absätze 2 und 3 gelten Personen, die nach dieser Richtlinie Informationen über Verstöße melden oder offenlegen, nicht als Personen, die eine Offenlegungsbeschränkung verletzt haben, und sie können für eine solche Meldung oder Offenlegung in keiner Weise haftbar gemacht werden, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung der Information notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken.

(3)   Hinweisgeber können nicht für die Beschaffung der oder den Zugriff auf Informationen, die gemeldet oder offengelegt wurden, haftbar gemacht werden, sofern die Beschaffung oder der Zugriff nicht als solche bzw. solcher eine eigenständige Straftat dargestellt haben. Im Fall, dass die Beschaffung oder der Zugriff eine eigenständige Straftat darstellen, unterliegt die strafrechtliche Haftung weiterhin dem nationalen Recht.

(4)   Jede weitere mögliche Haftung des Hinweisgebers aufgrund von Handlungen oder Unterlassungen, die nicht mit der Meldung oder Offenlegung in Zusammenhang stehen oder für die Aufdeckung eines Verstoßes nach dieser Richtlinie nicht erforderlich sind, unterliegt weiterhin dem geltenden Unionsrecht oder nationalem Recht.

(5)   In Verfahren vor einem Gericht oder einer anderen Behörde, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung beziehen und in denen der Hinweisgeber geltend macht, diese Benachteiligung infolge seiner Meldung oder der Offenlegung erlitten zu haben, wird vermutet, dass die Benachteiligung eine Repressalie für die Meldung oder Offenlegung war. In diesen Fällen obliegt es der Person, die die benachteiligende Maßnahme ergriffen hat, zu beweisen, dass diese Maßnahme auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte.

(6)   Die in Artikel 4 genannten Personen erhalten Zugang zu geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren nach Maßgabe des nationalen Rechts.

(7)   In Gerichtsverfahren, einschließlich privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder arbeitsrechtlicher Gerichtsverfahren wegen Verleumdung, Verletzung des Urheberrechts, Verletzung der Geheimhaltungspflicht, Verstoßes gegen Datenschutzvorschriften, Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen sowie Schadensersatzverfahren, können die in Artikel 4 genannten Personen aufgrund von Meldungen oder von Offenlegungen im Einklang mit dieser Richtlinie in keiner Weise haftbar gemacht werden. Diese Personen haben das Recht, unter Verweis auf die betreffende Meldung oder Offenlegung die Abweisung der Klage zu beantragen, sofern sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die Meldung oder Offenlegung notwendig war, um einen Verstoß gemäß dieser Richtlinie aufzudecken.

Wenn eine Person Informationen über in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße meldet oder offenlegt, die Geschäftsgeheimnisse beinhalten, und wenn diese Person die Bedingungen dieser Richtlinie erfüllt, gilt diese Meldung oder Offenlegung als rechtmäßig im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie (EU) 2016/943.

(8)   Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Rechtsbehelfe und eine vollständige Wiedergutmachung des erlittenen Schadens für die in Artikel 4 genannten Personen entsprechend dem nationalem Recht vorgesehen sind.

Artikel 22 - Maßnahmen zum Schutz betroffener Personen

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen gemäß der Charta sicher, dass betroffene Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Gerichtsverfahren und die Wahrung der Unschuldsvermutung sowie ihre Verteidigungsrechte, einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in ihre Akte, in vollem Umfang ausüben können.

(2)   Die zuständigen Behörden stellen im Einklang mit dem nationalen Recht sicher, dass die Identität betroffener Personen während der Dauer einer durch die Meldung oder Offenlegung ausgelösten Untersuchung geschützt bleibt.

(3)   Die in den Artikeln 12, 17 und 18 festgelegten Regeln über den Schutz der Identität von Hinweisgebern gelten auch für den Schutz der Identität betroffener Personen.

Artikel 23

Sanktionen

(1)   Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für natürliche oder juristische Personen fest, die

a) Meldungen behindern oder zu behindern versuchen;

b) Repressalien gegen die in Artikel 4 genannten Personen ergreifen;

c) mutwillige Gerichtsverfahren gegen die in Artikel 4 genannten Personen anstrengen;

d) gegen die Pflicht gemäß Artikel 16 verstoßen, die Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern zu wahren.

(2)   Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Hinweisgeber fest, denen nachgewiesen wird, dass sie wissentlich falsche Informationen gemeldet oder offengelegt haben. Die Mitgliedstaaten sehen auch Maßnahmen entsprechend dem nationalem Recht zur Wiedergutmachung von Schäden vor, die durch diese Meldungen oder Offenlegungen entstanden sind.

Artikel 24 - Keine Aufhebung von Rechten und Rechtsbehelfen

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in dieser Richtlinie vorgesehenen Rechte und Rechtsbehelfe nicht aufgrund einer Beschäftigungsvereinbarung, -bestimmung, -art oder -bedingung, einschließlich einer Vorab-Schiedsvereinbarung, aufgehoben oder eingeschränkt werden können.