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Regulierung der Lieferketten

Die Entwicklung globaler Lieferketten ist ein wichtiger Faktor des weltweiten Wirtschaftswachstums und bietet auch Niedriglohnländern Chancen. Die Rechte der Beschäftigten ausländischer Zulieferer fanden jedoch selten besondere Beachtung. Zur Eindämmung von Menschenrechtsverstößen sollen nach dem Willen der Bundesregierung Unternehmen in Deutschland in die Pflicht genommen werden, in ihren weltweiten Lieferketten auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Mindeststandards zu achten. Dazu soll ein allgemeines Lieferkettengesetz noch in dieser Legislaturperiode vor der anstehenden Bundestagswahl im September 2021 verabschiedet werden. Zum Zeitpunkt der Redaktion dieses Artikels lag der Entwurf der Bundesregierung des „Gesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ vor.

I. Überblick über den Referentenentwurf der Bundesregierung

1. Anwendungsbereich

Das Lieferkettengesetz soll ab 2023 für alle in Deutschland ansässige juristische Personen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern verbindlich gelten. Das sind derzeit rund 600 Unternehmen. Ab 2024 dann auch für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten. Etwa 2.800 Unternehmen wären betroffen.

Innerhalb von verbundenen Unternehmen werden die Mitarbeiter in sämtlichen konzernangehörigen Gesellschaften für das Erreichen des Schwellenwertes durch die Konzernmutter mitgerechnet. Für die Ansässigkeit soll maßgeblich sein, dass die unternehmerischen Steuerentscheidungen in Deutschland getroffen werden. Eine bloße Geschäftstätigkeit in Deutschland genügt nicht.

2. Anforderungen

Das Lieferkettengesetz schafft Sorgfaltspflichten. Hierbei handelt es sich nicht um Erfolgs-, sondern um Handlungspflichten, die unter dem Vorbehalt der Angemessenheit stehen.

Zentrales Element ist die Risikoermittlung, -analyse und -bewertung. Die verpflichteten Unternehmen sollen prüfen, ob sich ihre Aktivitäten nachteilig auf international anerkannte Menschenrechte und Umweltvorgaben auswirken und dabei ihre gesamte Lieferkette im Blick haben. Neben einem Verweis auf internationale Rechtsquellen benennt der Gesetzesentwurf Risikofelder, die dadurch in den Fokus der Analyse rücken.

Wird einem Unternehmen ein Missstand in der Lieferkette bekannt, soll es verpflichtet werden, im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht angemessene Maßnahmen zur Prävention und Abhilfe zu ergreifen und deren Wirksamkeit jährlich sowie anlassbezogen zu kontrollieren. Die Verantwortung der Unternehmen soll vom Grad der Einwirkungsmöglichkeit abhängen. Je weiter der Zulieferer in der Lieferkette entfernt ist, desto geringer sind die unternehmerischen Sorgfaltspflichten.

Unternehmen sollen einen Beschwerdemechanismus (interne oder externe Whistleblower Hotline) anbieten.

Zur Gewährleistung einer effektiven Umsetzung sollen Unternehmen verpflichtet werden, ihr Risikomanagement für jedermann im Internet einsehbar zu machen und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle als Aufsichtsbehörde zu übermitteln, dem effektive Kontrollinstrumente zur Verfügung gestellt werden.

3. Zivilrechtliche Durchsetzung und Sanktionen

Regelungen zur zivilrechtlichen Haftung sind im Gesetzesentwurf nicht enthalten. Es ist lediglich vorgesehen, dass Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Möglichkeit erhalten, Betroffene mit deren Zustimmung vor Gericht zu vertreten, wenn es Verstöße gegen geschützte Rechtspositionen in Lieferketten gibt. Diese müssen jedoch „eine auf Dauer angelegte eigene Präsenz unterhalten und sich nicht gewerbsmäßig und nicht nur vorrübergehend entsprechend ihrer Satzung dafür einsetzen, die Menschenrechte (...) zu realisieren.“

Unternehmen müssen künftig bei zumindest fahrlässigen Verletzungen der Sorgfaltspflicht mit einem Bußgeld von bis zu 800.000 Euro oder unter bestimmten Voraussetzungen von bis zu zwei Prozent des durchschnittlichen, weltweit erzielten Jahresumsatzes rechnen. Sie sollen dann auch bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. Eine generelle Berücksichtigung der Sorgfaltspflichten bei der öffentlichen Beschaffung oder bei der Außenwirtschaftsförderung ist nicht vorgesehen.

II. Einordnung

1. Ausblick

Nach derzeitiger Rechtslage treffen die meisten deutschen Unternehmen keine Verpflichtung in Bezug auf die Sorgfalt für Menschen und Umwelt. Solche Pflichten unterliegen im Inland allein Unternehmen, die mit sogenannten Konfliktmineralien und –metallen handeln. Große Kapitalgesellschaften mit mehr als 500 Beschäftigen sind nach § 289c Abs. 3 Nr. 4 HGB im Rahmen der Unternehmensberichtserstattung zur Offenlegung bestimmter nachhaltigkeitsbezogener Informationen zu ihren Lieferantenbeziehungen verpflichtet.

Das Lieferkettengesetz markiert den Auftakt der branchenübergreifenden Regulierung der Lieferketten, zunächst noch auf nationaler Ebene, nachdem Nachbarländer wie Frankreich, die Schweiz, Großbritannien oder die Niederlande bereits vorgelegt haben. Eine europäische Vorgabe in Gestalt einer Richtlinie befindet sich ebenfalls in Arbeit. Ein Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission ist für das Jahr 2021 anvisiert. Die Richtlinie wird voraussichtlich einen größeren Adressatenkreis in die Pflicht nehmen, die gesamte Wertschöpfungskette einbeziehen und weitergehende Anforderungen und Folgen für Unternehmen vorsehen. Die Bundesregierung hat bereits angekündigt, nach 2024 den Anwendungsbereich des Lieferkettengesetzes zu überprüfen.

2. Haftungsrisiko für deutsche Unternehmen

In Bezug auf die zivilrechtliche Haftung wirkt das Lieferkettengesetz auf den ersten Blick nicht haftungsintensiv. Weder regelt es die zivilrechtliche Haftung noch sieht es Beweiserleichterungen vor, etwa hinsichtlich der Angemessenheit der Maßnahmen, oder dass die Dokumentation und Berichterstattung der Unternehmen im Interesse der Betroffenen erfolgt, was ihnen ein Einsichtsrecht nach § 810 BGB hätte vermitteln können. Anders als die Haftung des EU-Importeurs für die Einfuhr eines fehlerhaften Produkts nach dem ProdHaftG ist die Beachtung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt verschuldensabhängig ausgestaltet.

Das deutsche Haftungsregime begründet regelmäßig keine Haftung für von einem Lieferanten verursachten Schäden Dritter. Nach § 823 Abs. 1 BGB haftet nur derjenige, der die Rechtsgutsverletzung tatsächlich begangen hat. Eine deliktische Haftung für fremdes Verschulden kommt nur ausnahmsweise nach § 831 BGB in Betracht, wenn ein Verrichtungsgehilfe den Schaden verursacht hat. Mangels Weisungsgebundenheit ist ein Zulieferer grundsätzlich kein Verrichtungsgehilfe.

Nur in Ausnahmefällen kommt eine Haftung nach deutschem Recht in Betracht. Vereinbarungen mit Lieferanten, in welchen die Unternehmen als Grundlage der Auswahl und Tätigkeit der Lieferanten die Einhaltung örtlich zwingender Schutzvorschriften ausgeben, können haftungsbegründend wirken, soweit sie den Lieferanten zum Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB erheben. Verbindliche Sorgfaltsvorgaben an Zulieferer, die sich über die Direktlieferanten hinaus auf weitere Zulieferer erstrecken sollen, können Schutzrechte zu Gunsten Dritter, etwa den Beschäftigten der Zulieferer, begründen. Selbst unverbindliche Vorgaben können gewährleistungsrechtlich problematisch sein, soweit die Leistungen des Unternehmens die verlautbarten Nachhaltigkeitsversprechen nicht erfüllen.

Dennoch erweitert das Lieferkettengesetz durch die Einführung von Sorgfaltspflichten das zivilrechtliche Haftungsrisiko der Unternehmen an der Spitze der Lieferkette. Ansprüche nach ausländischem Deliktsrecht können auf der Grundlage der Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO und Art. 4 Abs. 1, 63 EuGVVO gegen ein deutsches Unternehmen in Deutschland gerichtlich geltend gemacht werden. Ein ausländisches Haftungsrecht, das eine Haftung ohne eigenes Fehlverhalten vorhersehen würde, wäre mit deutschem ordre public unvereinbar und nach Art. 26 Abs. 2 Rom II-VO unanwendbar. Sofern das ausländische Recht jedoch eine Haftung an die Verletzung einer Sorgfaltspflicht des Unternehmens bei der Auswahl seiner Zulieferer anerkennen würde, wäre ein Anhaltspunkt für ein eigenes Fehlverhalten und somit ein Haftungsrisiko des Unternehmens gegeben. Nach Art. 17 Rom II-VO sind bei der Beurteilung des Verhaltens des in Anspruch genommenen Unternehmens „faktisch und soweit angemessen die Sicherheits- und Verhaltensregeln zu berücksichtigen, die an dem Ort und zu dem Zeitpunkt des haftungsbegründenden Ereignisses in Kraft sind“. Das bedeutet, dass Sorgfaltspflichten, die nach deutschem Recht bestehen und nunmehr durch das Lieferkettengesetz begründet werden, in das ausländische Haftungsrecht bei der Beurteilung des Verschuldens, der deliktischen Zurechenbarkeit und/oder der Rechtswidrigkeit hineinwirken. Den Gerichten wird dabei insbesondere die Klärung der Konturen des Angemessenheitsvorbehalts obliegen, der für die Sorgfaltspflichten gelten soll.  In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass das Gesetz zwar auch für mittelbare Zulieferer gelten soll, die Pflichten in Bezug auf diese Zulieferer jedoch erheblich eingeschränkt sind. In Bezug auf mittelbare Zulieferer müssen Unternehmen ihre Risiken nur „anlassbezogen“ ermitteln und nur dann etwas unternehmen, wenn sie „substantiierte Kenntnis“ über eine mögliche Verletzung geschützter Rechtsgüter erlangen.

Nicht zuletzt die inhaltliche Unbestimmtheit des Angemessenheitsvorbehalts für die Handlungspflichten begründet Haftungsrisiken für Unternehmen im Hinblick auf Bußgelder. Das Lieferkettengesetz bürdet Unternehmen das Risiko auf, das Maß der Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten ohne klare gesetzgeberische Vorgaben zutreffend zu bewerten.

Der Geschäftsleitung drohen Regressansprüche im Rahmen der Innenhaftung. Die Implementierung und regelmäßige Kontrolle betriebsinterner Compliance-Maßnahmen liegen im Verantwortungsbereich der Unternehmensleitung, die im Falle der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Sorgfaltspflichten zur Einrichtung eines angemessenen Systems zur Lieferketten-Compliance haftbar gemacht werden kann.

3. Handlungsbedarf für Unternehmen

Für die Unternehmen, die in die Pflicht genommen werden, bedeutet das Lieferkettengesetz, dass das Risikomanagement bezogen auf die Lieferkette neu gedacht werden muss. Es kann nur empfohlen werden, bereits jetzt Maßnahmen zu konzipieren, um die gesetzlichen Sorgfalts- und Berichtspflichten umzusetzen.

Ein erster Schritt wird regelmäßig sein, die eigenen Lieferketten und damit verbundene Risiken für Menschen und Umwelt nachzuvollziehen. Dabei lassen sich einzelne Unternehmensbereiche sowie Produktions- und Lieferländer unterschiedliche Risikokategorien zuordnen.

Die Risikoprävention wird unter anderem durch ein entlang der Lieferkette einzurichtendes vertragliches Risikomanagement sicherzustellen sein. In Verträgen mit unmittelbaren Lieferanten lassen sich etwa Pflichten zur Achtung von Menschenrechte und Umweltvorgaben, Schulungsangebote, Berichtspflichten, Kontrollrechte und -pflichten, Sanktionsmöglichkeiten und/oder Anreize für die Erreichung nachhaltigkeitsbezogener Ziele aufnehmen. Die unmittelbaren Lieferanten müssen vor Vertragsschluss auch im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte sorgfältig ausgesucht werden (ggf. durch Audits, Interviews, Auflagen). Die Einhaltung der ihnen auferlegten Pflichten ist regelmäßig zu überwachen. Weitere Maßnahmen können etwa Schulungen eigener Mitarbeiter und Lieferanten sowie die Unterstützung von Lieferanten mit besonderen Risiken sein.

Folglich muss auch der Mittelstand damit rechnen, durch die Weitergabe von Sorgfaltspflichten in Verträgen bestimmten Anforderungen des Lieferkettengesetzes gerecht werden zu müssen.

Nicht zuletzt sollten bestehende Haftpflichtversicherungen auf die Verletzung der aus dem Lieferkettengesetz resultierenden Pflichten erweitert werden.

Felix Nietsch LL.M., Rechtsanwalt, Master im Wirtschafts- und Handelsrecht (ParisI), Maître en droit, Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, Fachanwalt für Arbeitsrecht